Einleitung: Agri-PV als Antwort auf Flächenknappheit und Energiewende
Die Diskussion rund um die Energiewende in Deutschland hat in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen – und das zu Recht. Die Herausforderung: Wir benötigen mehr erneuerbaren Strom, aber gleichzeitig fehlt es an geeigneten Flächen. Auch die Landwirtschaft steht unter Druck – steigende Kosten, zunehmende Wetterextreme und sinkende Erlöse machen vielen Betrieben zu schaffen. Genau hier kommt die Agri-Photovoltaik ins Spiel. Sie verspricht einen echten Mehrwert: Strom und Nahrung von derselben Fläche – also doppelte Ernte.
Doch was bedeutet das konkret? Lohnt sich Agri-PV wirklich für Landwirte? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind zu beachten, welche Pflanzen funktionieren unter den Modulen – und welche nicht? Und welche Praxisbeispiele zeigen schon heute, dass das Konzept mehr ist als nur eine gute Idee? Dieser Beitrag liefert fundierte Antworten – lebendig, praxisnah und mit Blick auf die reale Umsetzung auf deutschen Feldern.
Was ist Agri-PV eigentlich?
Agri-Photovoltaik – auch Agrivoltaik genannt – bezeichnet ein Konzept, bei dem landwirtschaftlich genutzte Flächen gleichzeitig für die Erzeugung von Solarstrom genutzt werden. Der Clou: Die PV-Module werden nicht wie bei klassischen Solarparks einfach auf die Felder gestellt und versiegeln diese – stattdessen werden sie so installiert, dass darunter weiterhin angebaut und geerntet werden kann.
Das Prinzip ist so einfach wie genial: Sonnenlicht gibt es mehr als genug, und Pflanzen brauchen nicht zwingend volle Sonneneinstrahlung. Besonders bei wärmeempfindlichen oder schattenverträglichen Kulturen entstehen durch die Teilverschattung sogar Vorteile. Gleichzeitig wird der erzeugte Strom entweder ins Netz eingespeist oder direkt auf dem Hof verwendet. Für Landwirtinnen und Landwirte eröffnet das neue wirtschaftliche Perspektiven.
Die wichtigsten Systemtypen im Überblick
Es gibt nicht die eine Agri-PV-Anlage – je nach Gelände, Nutzung und Kulturart kommen verschiedene Systeme infrage:
Hochaufgeständerte Anlagen
Hierbei werden die PV-Module mehrere Meter über dem Boden installiert, oft ähnlich wie ein Gewächshausdach. Diese Konstruktionen erlauben eine ungestörte Durchfahrt mit Maschinen, etwa Traktoren oder Mähdreschern. Die Pflanzen wachsen darunter fast wie gewohnt.
Vertikale Agri-PV (Solarzäune)
Hier stehen die Module senkrecht wie ein Zaun – meist bifacial, also beidseitig stromerzeugend. Besonders geeignet für Felder mit Ost-West-Ausrichtung oder an Feldrändern. Sie bieten gleichzeitig Wind- und Wetterschutz.
Tracking-Systeme: Bewegliche Module, die sich dem Sonnenstand anpassen oder bei Sturm automatisch flachgestellt werden können. Diese Systeme sind technisch anspruchsvoller, ermöglichen aber ein optimales Lichtmanagement für Pflanzen und Module.
Jede dieser Varianten hat Vor- und Nachteile – entscheidend ist, dass sie zur jeweiligen Kultur, zum Betrieb und zur Fläche passen.
Die DIN SPEC 91434: Was Agri-PV von klassischen Solarparks unterscheidet
Agri-PV ist kein Freiflächen-Solarpark mit ein paar Grashalmen darunter. Damit eine Anlage als echte Agri-Photovoltaik gilt – und damit auch von Förderprogrammen profitiert –, muss sie bestimmte Kriterien erfüllen. Diese wurden in der DIN SPEC 91434 definiert, einer seit 2021 gültigen Spezifikation, die gemeinsam von Verbänden, Forschungseinrichtungen, Landwirten und Unternehmen erarbeitet wurde.
Die wichtigsten Anforderungen:
- Die Fläche muss weiterhin aktiv landwirtschaftlich genutzt werden – also mit Ackerbau, Dauerkulturen oder Grünlandwirtschaft. Schafe grasen reicht nicht.
- Je nach Anlagenkategorie darf nur ein bestimmter Prozentsatz der Fläche durch Module und Ständerwerke belegt sein: maximal 10 % bei hochaufgeständerten Anlagen (Kategorie 1), maximal 15 % bei bodennahen/vertikalen Systemen (Kategorie 2).
- Die landwirtschaftliche Produktion muss weiterhin mindestens 66 % des früheren Ertrags erzielen – gemessen an einer Vergleichsfläche ohne PV.
- Mindesthöhen: 2,10 m für Kat. 1, 0,80 m für Kat. 2.
Diese Vorgaben wurden durch das Solarpaket I gesetzlich verankert. Nur Anlagen, die nach DIN geplant und umgesetzt sind, erhalten EEG-Förderung, steuerliche Erleichterungen und vereinfachte Genehmigungsverfahren.
Welche Pflanzen wachsen gut unter PV-Modulen?
Die landwirtschaftliche Tauglichkeit steht und fällt mit der Pflanzenwahl. Gute Nachricht: Viele Kulturen gedeihen überraschend gut unter Agri-PV.
Gute Erfahrungen gibt es bisher bei:
- Beerenobst (z. B. Himbeeren, Erdbeeren, Blaubeeren): Diese profitieren vom Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung, Regen und Hagel. Die Früchte sind oft qualitativ hochwertiger und weniger von Krankheiten betroffen.
- Blattgemüse wie Salat, Spinat oder Mangold: Sie brauchen keine volle Sonne, gedeihen im Halbschatten sehr gut und behalten oft mehr Feuchtigkeit.
- Knollenfrüchte wie Kartoffeln: Besonders in heißen Jahren bringt der Schatten Vorteile. Studien zeigen bis zu 11 % mehr Ertrag in Dürresommern.
- Getreidearten wie Weizen oder Gerste: Bei durchdachter Modulaufstellung (z. B. mit großem Reihenabstand) sind akzeptable Erträge möglich.
Weniger geeignet: Mais – als C4-Pflanze hat er einen hohen Licht- und Wärmebedarf und leidet deutlich unter Verschattung.
Die Wahl der richtigen Kultur hängt also eng mit dem Standort, dem Modultyp und der klimatischen Region zusammen.
Vorteile: Warum sich Agri-PV für Landwirte lohnt
Die Verbindung aus Landwirtschaft und Photovoltaik bietet für viele Betriebe enorme Chancen – wirtschaftlich, ökologisch und strategisch.
1. Zusätzliche Einnahmen durch Strom
Mit Agri-PV erschließt sich eine völlig neue Erlösquelle. Der erzeugte Solarstrom kann ins öffentliche Netz eingespeist werden – hier greifen feste Vergütungssätze oder Auktionserlöse. Alternativ kann der Strom direkt auf dem Hof verbraucht werden: etwa für Kühlanlagen, elektrische Traktoren oder Melkroboter. Damit sinken die Energiekosten und die Abhängigkeit vom Markt.
2. Schutz vor Extremwetter
PV-Module wirken wie ein Wetterschirm. Sie mildern Hitze, brechen Wind, halten Starkregen und Hagel ab. Das schützt die Pflanzen, verbessert das Mikroklima und reduziert Stressfaktoren. Auch der Wasserverbrauch kann sinken, weil weniger Verdunstung stattfindet.
3. Förderung & Vergütung
Agri-PV wird politisch gewollt. Seit 2024 gibt es hohe Vergütungssätze (bis zu 9,5 Ct/kWh), Zuschüsse in einzelnen Bundesländern (z. B. Brandenburg: bis zu 45 % der Investitionskosten) und Bonuszahlungen bei naturschutzkonformer Bewirtschaftung.
4. Doppelte Flächennutzung = höhere Effizienz
Ein Hektar Fläche produziert nicht mehr nur Nahrung, sondern zusätzlich Strom. Die sogenannte Landnutzungs-Effizienz steigt. In Pilotprojekten wurden Werte von bis zu 186 % erreicht (z. B. bei Kartoffeln).
5. Neue Perspektiven für schwierige Standorte
Trockene, sandige oder wenig rentable Flächen lassen sich mit Agri-PV wirtschaftlich deutlich aufwerten. Vor allem für Betriebe, die mit klassischen Kulturen kaum Ertrag erwirtschaften, ist das eine attraktive Option.
Herausforderungen: Wo noch Luft nach oben ist
Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Agri-PV bringt auch Herausforderungen mit sich.
Genehmigung & Planung
Die Genehmigungspraxis ist noch nicht überall eingespielt. Zwar gibt es seit 2022 eine Bauprivilegierung (§ 35 BauGB), doch die Auslegung unterscheidet sich regional. Planer und Behörden müssen oft Neuland betreten.
Investitionskosten
Agri-PV ist teuer – zumindest im Vergleich zur klassischen PV. Höhere Unterkonstruktionen, teiltransparente Module, Spezialfundamente oder Tracking-Technik treiben die Kosten. Ohne Förderung ist das für kleine Betriebe schwer zu stemmen.
Technische Komplexität
Zwei Nutzungen auf derselben Fläche bedeuten doppelte Anforderungen. Die Technik muss zuverlässig sein, die Landwirtschaft darf nicht behindert werden. Das erfordert Know-how, Präzision und regelmäßige Wartung.
Betriebsumstellung
Nicht jeder Betrieb ist auf eine solche Hybridnutzung vorbereitet. Reihenabstände, Maschinenbreiten, Lichtmanagement – vieles muss neu gedacht werden.
Akzeptanz & Naturschutz
Auch wenn Agri-PV deutlich besser akzeptiert ist als Freiflächen-PV: Es gibt Vorbehalte, etwa bei Anwohnern oder Naturschützern. Gute Kommunikation, landschaftsschonende Planung und ökologische Ausgleichsmaßnahmen sind entscheidend.
Agri-PV in der Praxis: Erfolgreiche Beispiele
Wie sieht Agri-PV im echten Leben aus? Diese Projekte zeigen, was heute schon funktioniert:
Apfelplantage in Kressbronn (Bodensee)
Obstbauer Hubert Bernhard hat eine 258 kWp-Anlage über seinen Apfelbäumen installiert. Die teiltransparenten Module schützen vor Hagel und Sonnenbrand, liefern jährlich rund 250 MWh Strom – und die Apfelqualität bleibt stabil. Das Hagelnetz hat er ersetzt, die PV-Module halten länger und bringen zusätzlichen Nutzen.
Forschungshof Nachtwey (Rheinland-Pfalz)
Hier testet das Fraunhofer ISE verschiedene Modultypen und Tracker über Apfelbäumen. Erste Ergebnisse zeigen geringe Ertragsverluste, gleichzeitig hohe Stromausbeute. Parallel werden Ackerfrüchte unter nachgeführten Modulen angebaut – mit großem Potenzial.
Energiegenossenschaft Oberland (Bayern)
Fünf Anlagen mit insgesamt 30 MWp überspannen Grünland, auf dem Milchkühe weiden. Die Tiere profitieren vom Schatten, der Strom versorgt über 9.000 Haushalte. Gleichzeitig wurde die Biodiversität durch Heckenpflanzungen gefördert.
Himbeerplantagen in Mecklenburg-Vorpommern
Unter PV-Dächern wachsen Beeren geschützt vor Wetter und mit reduziertem Wasserbedarf. Die Hochschule Neubrandenburg begleitet das Projekt wissenschaftlich – mit vielversprechenden Ergebnissen.
Regulatorik und Förderung (Stand 2025)
Die politische Unterstützung für Agri-PV ist derzeit stark. Das EEG wurde angepasst, Agri-PV in Ausschreibungen bevorzugt behandelt, und die Länder setzen eigene Programme auf.
- Feste Einspeisevergütung: bis 1 MW = 9,5 Ct/kWh.
- Eigenes Ausschreibungssegment für größere Anlagen (>1 MW).
- Umweltbonus: +0,3 Ct/kWh bei naturschutzkonformer Bewirtschaftung (z. B. 20 % weniger Dünger, keine Herbizide, Blühstreifen).
- Genehmigungserleichterung bis 2,5 ha bei Hofnähe.
- Kombination mit Agrarförderung möglich – kein Verlust der Direktzahlung.
Zukunftsperspektiven: Was kommt auf uns zu?
Die Zeichen stehen auf Wachstum. In den nächsten Jahren dürfte sich Agri-PV vom Pilotprojekt zum Standard entwickeln – zumindest dort, wo die Bedingungen passen. Zentrale Entwicklungen:
- Flächenöffnung: Auch Moore, Aquakulturen und Infrastrukturränder könnten künftig PV-tauglich werden.
- Technik-Optimierung: Leichtere Module, bessere Lichtsteuerung, automatisierte Reinigung.
- Digitalisierung: Sensoren, Wetterdaten, Robotik – alles wird vernetzter und effizienter.
- Soziale Modelle: Kooperationen zwischen Verpächtern, Energieunternehmen und Landwirten sorgen für faire Wertschöpfung.
- Kombinierte Ökosysteme: Blühstreifen, Humusaufbau und Biolandbau ergänzen die PV-Nutzung.
Fazit: Doppelt ernten lohnt sich
Agri-Photovoltaik ist mehr als nur ein Trend. Sie kann zu einem zentralen Baustein einer zukunftsfähigen, krisenresistenten und nachhaltigen Landwirtschaft werden. Klar: Es braucht Mut, Investitionen und Know-how. Aber die Vorteile sind überzeugend – für Landwirte, Umwelt und Gesellschaft. Wer jetzt einsteigt, erntet doppelt: Solarstrom und Lebensmittel vom selben Feld.